Die neue Generation kubanischer Fotografen/innen

Vorwort von Michael Horbach (Auszug aus dem Fotobuch zur Ausstellung)

 

„Wir wollen unsere Revolution in Bildern erzählen!", hatte Fidel Castro gleich nach seinem Sieg über den Diktator Batista gesagt, und Cuba brachte in der Tat eine beeindruckende Tradition an hervorragenden Fotografen hervor. Man denke an die Revolutionsfotografen Raul Corrales, Osvaldo Salas, seinen Sohn Roberto, und vor allem an Alberto Korda, der mit seinem ikonischen Portrait des "Che", das meist verbreitetste Foto der Geschichte schuf.

Die junge Garde der kubanischen Fotografen/innen hingegen spielt bisher in westlichen Galerien und Ausstellungen eine untergeordnete Rolle. Zu Unrecht, wie die Fotografien von Alfredo Sarabia, Leysis Quesada Vera und Daylene Rodriguez Moreno eindrucksvoll zeigen.

Diese jungen Fotografen/innen wurden künstlerisch sehr beeinflusst von Alfredo Sarabia Senior, der quasi ihr Lehrmeister ist.

 

"Die Fotografen Lateinamerikas experimentieren nicht", sagte Erika Billeter, die 2012 verstorbene, grosse Kunsthistorikerin, „sie sehen.“ Das ist es, was mich an den Fotografien der Kubaner/innen fasziniert: Das unverstellte Interesse am Menschen, diese Dokumente der Menschlichkeit.

 

Anmerkungen zum Werk von Alfredo Sarabia Senior und seinem Einfluss auf neue Generationen

 

Eine neue Generation von Fotografen meldet sich zu Wort, will ihre Ideen zum Ausdruck bringen, und aus der Vielfalt lassen sich Gemeinsamkeiten erkennen. Sie alle spiegeln die komplexe Realität wider, die Kuba im Moment erlebt.
Diese Fotografen haben von ihren Vorgängern gelernt, wie man ein Bild konstruiert, ohne die Kunstgriffe und Rekonstruktionen, die das digitale Medium bietet. Sie sind ausgezeichnete Jäger und wissen auch, wie man die Realität verändert, um den perfekten Moment zu erreichen.

Viele von ihnen haben eine ausdrucksstarke Linie fortgesetzt, die uns an die Arbeit von Alfredo Sarabia, Senior erinnert.

Der hohe Kontrast auf der Suche nach einem dramatischen Bild, die Familiengeschichte und das Interesse an der Vergangenheit verbinden sich in Daylene Rodriguez' Werk zu einer Diskussion über die Bedeutung des Wissens um die eigenen Wurzeln und die Nutzung der Lebenserfahrung für die Kunst. Sie interessiert sich sehr für das Land, das Ländliche, die Orte, die weit von der Stadt entfernt sind, vielleicht weil die Geschichte der Städte an abgelegenen Orten beginnt, die sich entscheiden zu wachsen.

Manuel Almenares, lebt und porträtiert Alt-Havanna. Das belebteste Viertel der Stadt. Voller Passagen und enger Straßen, in denen das Licht Labyrinthe aus Schatten erzeugt. Es ist wie ein großes Theater, in dem jeder ein Protagonist ist und wir manchmal nicht verstehen, was auf der Bühne passiert.

Leysis Quesada konzentriert sich hauptsächlich auf Farbfotografie. Sie bringt die Poesie des Tanzes an alltägliche Orte. Sie hat eine transformative und subjektive Vision der Realität, die sie umgibt. Für sie gibt es keine Umgebung ohne Poesie. Sie interessiert sich für den menschlichen Körper, der mal müde und alt, mal voller Leben und Energie ist. Der Dialog zwischen dem Subjekt und der Umgebung ist sehr stark.

 

Alfredo Sarabia (Junior) artikuliert seine Projekte durch Serien. Die Themen, die sie behandeln, sind denen seines Vaters sehr ähnlich. Er lässt sich vom Werk des Meisters inspirieren und nutzt es als Ausgangspunkt für die Entwicklung seiner Projekte, wie im Fall von "La casa redonda. cuarentena". Diese Serie ist inspiriert von Momenten aus seiner Kindheit und den Reisen, die er in Begleitung seines Vaters durch Kuba unternahm. Sarabia (Junior) versucht nicht zu dokumentieren, er ist daran interessiert, Symbole zu schaffen, die in der ihn umgebenden Realität eingefangen sind.

Diese Ausstellung bildet eine sehr harmonische visuelle Synthese zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der kubanischen Fotografie.

Alfredo Sarabia Junior


Verflechtungen von Vergangenheit und Gegenwart in der heutigen kubanischen Fotografie (Auszug aus dem Fotobuch zur Ausstellung)


Es geht heute nicht mehr um das große nationale Kollektiv, sondern um das konkrete Leben im here and now, um die Ars Viva, die Kunst des Lebens, jener kleinen Kollektive, wie sie etwa Alfredo Sarabias Bilder der Fiesta in den Bergen der Sierra Maestra oder in den Fotografien der Afro-Ditas von Manuel Verflechtungen von Vergangenheit und Gegenwart in der heutigen kubanischen Fotografie zum Ausdruck kommen.
Wenn die Schicksale der Individuen in den Bildern der zweiten kubanischen Foto-Generation – und zu ihr gehört Alfredo Sarabia Senior zweifelsohne – verstärkt in den Mittelpunkt treten, so führen die Fotografen und Fotografinnen der dritten Generation dieses weiter, blickt man auf Mi Gente und Mirada interior von Leysis Quesada Vera. Ihre Suche nach jener großen gesellschaftlichen Utopie muss sich heute auch an der existierenden Realität messen lassen, aber den Traum einer gerechteren Welt und den Glauben an den Menschen haben sie noch längst nicht verloren.

Florian Ebner, Leiter der fotografischen Sammlung, Centre Pompidou, Paris