Fotopreis 2019

RUSSIAN TIMES 1988–2018

ist das längste und erst kürzlich abgeschlossene Projekt von Frank Gaudlitz. Es verfolgt die gesellschaftliche Entwicklung in Russland über einen Zeitraum von 30 Jahren, beginnend 1988 mit Aufnahmen aus der ehemaligen Sowjetunion zu Zeiten von Perestroika und Glasnost.
Von 1992 bis ins neue Jahrtausend entstand ein umfangreiches Bildkonvolut über eine Periode großer gesellschaftlicher Depression als Auswirkung blutiger Verteilungskriege, in der zwar Reformen neue Freiheiten und Rechte versprachen, vielfach aber Rechtlosigkeit und Armut das Ergebnis für die Mehrheit der Russen war. Neben den großen Metropolen St. Petersburg und Moskau, den Provinzstädten um den goldenen Ring, fand Gaudlitz seine Bilder auch im asiatischen Teil des Landes, in den GULAG ́s und Nickelbergwerken auf der Halbinsel Taimyr, den zentralasiatischen Regionen des Baikalsees, im Altai oder den Steinkohlerevieren Kemerovos.

Der inhaltlichen Schwerpunkt der aktuellen Arbeit bewegt sich im Spannungsfeld von Inszenierung und Realität und wurde im Gegensatz zu den vorangegangenen Bildkapiteln in Farbe aufgenommen. Gaudlitz bewegte sich ganz bewusst in den Klischees der russischen Kultur und suchte Orte auf, an denen ein patriotisches Bildvokabular bemüht wird, das Russland als Sieger- und Großmacht darstellt, in der Stilistik aber oftmals an die kommunistische Zeit erinnert. Das Auseinanderdriften von Ideal und Wirklichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch diese Langzeitstudie und macht die ganze Disparität innerhalb der russischen Gesellschaft deutlich.

Frank Gaudlitz, 1958 in Vetschau geboren, studierte an der HGB in Leipzig bei Arno Fischer und arbeitet vorwiegend analog an selbstkonzipierten Langzeitprojekten in Russland, Osteuropa und Südamerika.

Seine großen fotografischen Folgen spannen einen Bogen zwischen epochalen Ereignissen und Einzelschicksalen und wurden in Fotobänden und internationalen Einzelausstellungen veröffentlicht und vielfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet.

Von 1990–94 begleitete er den Abzug des russischen Militärs aus Ostdeutschland. In den Porträtprojekten „Warten auf Europa“ (2003–05) und „Casa Mare“ (2005–08) hinterfragte er die Befindlichkeit der Menschen Osteuropas. 2010 überquerte er für seine Arbeit „Sonnenstrasse“ auf den Spuren A.v. Humboldts in sieben Monaten die südamerikanischen Anden, um sich danach in der mehrjährigen Arbeit „A Mazo“ dem Leben von Transfrauen am Amazonas zu widmen.